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 ERHOLUNGSAKTIONEN
Tagebuch einer Gastfamilie
...drei Jahre später
Ein Kinderbauernhof wird errichtet

...DREI JAHRE SPÄTER

Tagebuch vom Besuch Sergej Zasimov

Donnerstag, den 29.7.2004
Wir verabreden, dass wir um 16 Uhr in Elsnik sind. Fahren über die AB bis Burg Ost und dann nach Reuden. Schauen uns das fast entkernte Haus an, einige junge russische Leute machten Aufräumarbeiten. Dann nach Elsnik. Es ist fast 16 Uhr, als wir ankommen und zwei Kinder vor dem Haus sehen. Einer ist Sergej, der gleich auf uns zuspringt und uns umarmt, der andere ist abweisend, er sieht auch nicht wie Kolja aus, es sei denn, er hat sich sehr verändert. Nach einem Telefonat mit Ljuba Schmidt klärt sich, dass Kolja von seinem Großvater abgeholt wurde. Er hatte sich so sehr auf unser Wiedersehen gefreut, sagten die Erzieherinnen. Aber Verwandtschaft geht vor, auch wenn sie sich viele Jahre nicht um die Kinder kümmern.
Fahren über AB wieder nach Göttingen. Sergej ist schlag kaputt, die letzten 50 km kann er sich kaum munter halten. Wir füttern ihn ein wenig ab und dann gleich ins Bett.

Freitag, den 30.7.2004
Meine Wunde am linken Fuß macht mir Schwierigkeiten, dazu kommt noch ein Gichtanfall im großen Zeh. Bin in meiner Beweglichkeit stark eingeschänkt. Renate geht mit Sergej erstmal Sandalen, T-Shirts und Hosen einkaufen. Er kam ja nur mit einer Tüte, in der ein Paar kaputte Turnschuhe waren an und hatte Hausschuhe an.
Unsere Nachbartochter Kirsten bringt uns ihr Skateboard. Sergej geht erst zögerlich ran, aber dann wird es immer besser. Er hat noch nie auf einem solchen Brett gestanden, kann es aber nach einer Stunde sehr gut. Nur die Ausdauer fehlt. Er ist eben mit seinen fast 15 Jahren ein Kerlchen, was man für 12 hält mit seinen nur 34,7 kg.

Samstag, den 31.7.2004
Unsere Nachbarn sind alle bemüht, was Gutes zu tun und schleppen Klamotten an. Und Spielzeug. Heute machen wir einen gemütlichen Tag, obwohl S. immer was spielen will, lässt sein Interesse nach ¼ Stunde nach oder er schlafft bald ab. Aber er muss auch lernen, Ruhephasen auszukosten. Darum führen wir 1 ½ Stunden Mittagsschlaf ein, er lernt es langsam, ihn zu nutzen. Zwar findet er es gut, dass er alleine ist und unsere ganze Zuneigung ihm ungeteilt gehört, aber andererseits fehlt ihn der Partner in der eigenen Sprache. Dafür animieren wir ihn, viele deutsche Worte zu lernen.

Sonntag, den 1.8.2004
Das Wetter ist warm und sonnig, wir verbringen fast den ganzen Tag mit Brettspielen im Garten. Sergej isst jetzt sehr kräftig, besonders morgens gibt’s reichlich Weissbrot mit Nutella.






 
 

Montag, den 2.8.2004
Während ich noch in St. Albani zu tun habe, geht Renate mit Sergej in die Stadt zum Eisessen, er entscheidet sich für Bananeneis. Dnach geht’s nachmittags wieder aufs Skateboard, jetzt schon etwas ausdauernder. Nachbar Karl spielt mit ihm Frisbee auf der Wiese vorm Haus. Abends ist Badefest mit Kleie-Molkebad. Er brauch sowas für seine Haut.




 
 

Dienstag, den 3.8.2004
Sergej geht jeden Morgen mit Renate zu den Nachbarn, um die Wohnung zu versorgen, die Atraktion ist das Kaninchen Charly.
Heute habe ich ihm versprochen, meine Inlineskater auszuprobieren. Und tatsächlich, er benutzt sie fast wie ein Profi, obwohl er noch nie solche Dinger an den Beinen hatte. Ein Bewegungsgenie. Er taut immer mehr auf , eben schäkerte wieder mit Nachbar Karl und schrieb dann mit Strassenkreide Karl auf russisch vor sein Haus aufs Trottoir.




 
 

Mittwoch, 4.8.2004
Wir spielen ein wenig Basketball auf dem Spielplatz, dann Skatern und nachmittags wird Domino und Halma unter dem Birnbaum gespielt.

Donnerstag, 5.8.2004
Wir fahren in die Stadt zum Optiker Nieger, der Sergej eventuell eine Brille spendieren will. Sie machen sich im Geschäft unheimlich viel Mühe, meinen aber, dass das rechte Auge zwar ein wenig Fehlsichtigkeit hat, aber sie sich noch auswachsen kann. Also verzichten wir auf eine Brille für nur ein Auge und tappern durch die Stadt. Unterwegs gibt’s bei Crönchen ein Eis. Mittags werden Berge von Nudelauflauf vertilgt. Nachmittags will er wieder auf die Inlineskater und die ganze Nachbarschaft wundert sich über seine großartigen Fortschritte.

Freitag, 6.8.2004
Es wird wieder heiss. Das Angebot von Nachbarin Anita Bührmann (Sportlehrerin) in mit ins Freibad zu nehmen, lehnt er ab. Vielleicht sind seine Schwimmkünste doch noch nicht ausgereift, obwohl er Stein und Bein schwört, schwimmen zu können. Aber ich kann wegen meiner Beinwunde nicht ins Wasser und Renate wagt sich nicht alleine mit ihm.
Er skatet wieder wie ein Weltmeister, heute mit schon größerer Ausdauer als sonst.

Samstag, 7.8.2004
Heute morgen wollte Sergej bei meiner Wundversorgung mit helfen. Er packte nun alles sterile an und Renate sagte ihm, er solle nichts mehr anfassen. Obwohl er es verstanden hatte, packte er weiterhin die sterilen Verbände aus und alles war unsteril. Da gab es etwas laute Worte. Er quitierte das mit Schmollen, d.h. er rannte auf sein Zimmer, warf sich auf das Bett und war nicht zu bewegen zum Frühstück zu kommen. Das konnten wir noch aushalten. Als er aber aus unseren Regalen Sachen herausriß und Schubladen zu Boden beförderte, war es Zeit, ihm Grenzen zu setzen. Ich habe ihm klargemacht, dass uns sein Verhalten nicht gefällt und er nicht zu unserer Belustigung hier sei. Wenn es ihm nicht gefalle, müsse er nicht bleiben, morgen können wir mit ihm nach Elsnik fahren. Da war aber Heulen und Zähneklappern gross. Im Molkebad wollte er sich ersäufen, aber nach paar Sekunden kam er wieder an die Oberfläche. Als das Schluchzen nachlies, vereinbarten wir wieder Frieden. Nun ja, vorpupertäre Machtdurchsetzungskämpfe.
Abends kam Nachbar Karl zum Grillen und es wurde noch ein langer Abend bei Fackelbeleuchtung im Garten. Karl brachte ihm eine große Tüte mit Gebäck mit. Obwohl er vier Würstchen und Kartoffelsalat gegessen hatte, war von dder Tüte nichts mehr übrig, als ich ihn um 22 Uhr das Licht ausmachte.

Sonntag, 8.8.2004
Es ist wieder ein heisser Tag, er vergnügt sich mit Skating fast den ganzen Tag, Renate spielt nachmittags mit ihm Malefiz. Wir gehen früh ins Bett.

Montag, 9.8.2004
Heute morgen erst in die Stadt, Renate muss zum Arzt, dann ist er wieder auf den Rollen, er macht immer größere Touren in der Siedlung, ganz zur Freude unserer Nachbarn. Ursel und Dieter Paul steckten uns 50 Euro zu, damit wir ihm was Gutes tun sollen. Ich überweise es dem Verein. Er macht mit Renate Großeinkauf, das mag er. Abends ißt er Brot mit Aufbauten : Räucherkäse, Mettwurst, Mortadella und Sülze. Er hat schon 1kg zugenommen.

Dienstag, 10.8.2004
Heute hat er zu nichts Lust, nicht mal mit den Skatern will er raus. Er hängt rum, unsere Nachbarin kommt zum Haareschneiden und macht ihn eine moderne Frisur mit viel Gel ins kurze Haar. Das findet er cool und bekommt auch gleich die Tube geschenkt. Nachmittags spielen wir im Garten Brettspiele.

Mittwoch, den 11.8.2004
Wir können nicht wegfahren, weil die Handwerker kommen und die bleiben den ganzen Tag. Eigentlich wollten wir heute mal nach Kassel. Sergej skatet wieder wie ein wilder, irgendwelche Schützer für Arm oder Beine sind Pipifax.

Donnerstag, den 12.8.2004
Renate fährt mit ihm nach Göttingen, ein kleiner Bär wird sein Schlaftier. Und dann das gute Eis von Agnoli. Süßigkeiten kann er kiloweise reinhauen.
Abends geht es in die Wanne, anstelle vom Molkebad wird heute Schaumbad ins Wasser geschüttet. Er freut sich über die neue weiße Kleidung, die er aber als Schnee ansieht.

Freitag, den 13.8.2004
Heute ist er den ganzen Morgen auf den Inlineskatern und kurft in der Siedlung rum. Die Nachbarn nennen ihn den „wilden Russen“. Eine Truppe deutscher Jugendlicher macht ihn auf unserer Strasse an, ich gehe dazwischen, weil sich eine Schlägerei andeutete. Sie verziehen sich, als ich kamm. Nun möchte Sergej unter meinem Schutz auf die Jugens los, denn die kommen immer mals bei uns vorbei und suchen den „Russki“. Als er mit Renate von der Versorgung vom Kaninchen Charly über die Strasse ging, rief einer der Knirpse: „ jetzt kommt der Russki mit seiner Oma“.

Samstag, den 14.8.2004
Keine besonderen Aktivitäten, wir spielen wieder unterm Birnenbaum, essen eine Riesenpizza zum Mittag und er vergnügt sich am Abend wieder im Schaumbad.

Sonntag, den 15.8.2004
Heute kommen unsere Nachbarn aus dem Urlaub wieder. Die Kinder kümmern sich gleich um Sergej. Siebo freut sich auf den großen Jungen, der mit ihm spielt. Und er quatscht ihn an, obwohl Sergej nichts versteht, das macht aber nichts. Sie spielen sehr ausgelassen in unseren Gärten. Hanna kann nicht verstehen, dass ein so großer Junge kein Deutsch versteht. Sie ist ganz verwirr, weil er zu uns Mama und Papka sagt. Renate hat ihr erklärt, dass er keine Eltern mehr hat und sich darüber freut, bei uns sowas wie Mamka und Papka zu finden. Das machte sie sehr nachdenklich.

Montag, den 16.8.2004
Heute wieder den ganzen Morgen auf den Skatern, dann ausgedehntes Spiel mit Siebo.
Abends geht’s wieder ins Schaumbad.

Dienstag, den 17.8.2004
Wir erwischen ihn mit den Inlinern auf dem sandigen Sielplatz und scheuchen ihn zurück, damit kein Sand ins Getriebe der Rollen kommr, versteht er aber nicht und ist mal wieder beleidigt. Dabei versuche ich es ihm zu erklären, dann geht es wieder.




 

Mittwoch, den 18.8.2004
Heute geht’s leider wieder zurück. Sergej packt seinen neuen Rucksack, der kaum alles faßt. Seine schlechte Laune können wir gut verstehen, heute darf das sein. Wir fahren quer durch den Harz nach Quedlinburg. Dort hat sich Sergej erstmal übergeben. Renate hatte einige Sprudelwasserflaschen dabei. Damit wurde er übergossen, sah dann auch aus wie ein begossener Pudel. Er erholte sich schnell und es ging weiter. In Elsnik stand er da, schlang wieder seine dünnen Ärmchen um uns und sagte auf deutsch : „Auf Wiedersehen“.
An uns soll es nicht liegen, vielleicht bald mal wieder.